Die Texte 2023

Mit der Präsentation im Raumprogramm endet 2022/23 (zunächst) die Ausstellungsgeschichte von ‚Ich Schreib Dir Von Zuhause‘. Für den Abschluss habe ich mir von Laura Dresch, Jan Brandt, Malte van de Water und Verena Issel Texte gewünscht, die ihre Erfahrung der vergangen Jahre im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in die Gegenwart bringen.

Dieser Raum ist ganz explizit offen, und ich würde mich natürlich auf Erweiterung und Ergänzung von allen freuen, die mich bei dem Projekt unterstützt haben!

Hier also – mit herzlichem Dank an Laura, Jan, Malte und Verena -, die Texte bzw. Statements:

Laura Dresch

Ich stehe an einer großen Kreuzung, direkt bei mir um die Ecke. Vor dem Bäcker steht eine lange Schlange, eine Frau kommt mit einem großen Strauß aus dem Blumenladen und während Busse und Bahnen lautstark und quietschend über die schweren Kreuzungsschienen donnern, trinken ein paar Mädels flat white vor einem hippen Café. 

Plötzlich fällt mir wieder ein wie leise und unbewegt hier alles war, mitten am Tag, unter der Woche. Damals, als alles geschlossen hatte, wir nur fürs Nötigste rausdurften und die Frühlings- Sommer- und Herbstluft erst durch selbstgenähte Stoffmasken und später durch dicke weiße FFP2-Masken gerochen haben. Es kommt mir wie ein merkwürdiger Traum vor, eine fast verblasste Erinnerung. Ist das wirklich passiert? Habe ich meine engsten Freunde wirklich monatelang nur draußen in der winterlichen Kälte und mit Abstand getroffen, die Luft angehalten, wenn mir jemand hustend entgegenkam und mich kaum getraut im Zug zu atmen, um bloß niemanden anzustecken?

Die Straßen waren lange still, das Ordnungsamt passte auf, dass sich keine Gruppen im Park treffen und auch in der Wohnung nur der engste Kreis zusammenkam. Die meisten akzeptierten die Maßnahmen zur Eindämmung, Hundertausende verbrachten ihre wilden Jugendjahre zu Hause vorm Bildschirm und Angehörige starben alleine im Krankenhaus, weil Besuch ein zu hohes Risiko darstellte.

Das ganze Land, die ganze Welt stand still. Außer samstags. Das erste Mal sah ich die selbst ernannten Befreier der sogenannten Coronadiktatur am Düsseldorfer Burgplatz, mit Grundgesetz in der Hand und szenetypischen Neonazi-Tattoos auf der Haut. Ich sprach mit einem Polizisten darüber, weil ich nicht glauben konnte, was ich sehe und was da mitten in meiner Stadt passiert. Das war zu Beginn der Pandemie und der Polizist erzählte mir, dass es eine geplante Aktion aus der rechten Szene sei. Ein radikaler Kreis, der schnell größer wurde und Menschen mit den unterschiedlichsten Gesinnungen anzog.

Die Demonstrationsroute war wohl gewählt, einmal durch die komplette Innenstadt, über die Kö und sämtliche Hauptverkehrsstraßen. Düsseldorf wurde jeden Samstag lahmgelegt und während Black Lives Matter Demos aufgelöst wurden, weil angeblich Mindestabstände nicht eingehalten wurden, durfte der Corona-Diktatur-Mob ohne Masken dicht an dicht Aerosole austauschen, lautstark wirre Parolen verbreiten und zum Nahkampf auf dem Burgplatz aufrufen.

Und was machen diese Menschen heute? Sie demonstrieren immer noch, in einer relativ kleinen Gruppe. Wogegen wissen sie wahrscheinlich selbst nicht so genau. Einige sind wie die Nazis des Zweiten Weltkriegs nach Paraguay ausgewandert. Aber wie viele sitzen in ihren Wohnungen, vertieft in „alternative Medien“, vollkommen isoliert in ihrem Weltbild, einen Umsturz planend? Der Weg aus dem rabbit hole ist weit, zu weit für viele.

Als ich letztens auf einem kleinen Platz in meinem Viertel saß, kam ein älterer Herr mit seinen beiden Hunden vorbei. Nach wenigen Smalltalkfloskeln erzählte er mir, was er alles aus den alternativen Medien wisse und dass die „Mainstreammedien“ alles verschweigen würden. Was ist mit diesem Menschen passiert? Wie kann es sein, dass billige Rattenfängertricks von so vielen nicht erkannt werden? Wie viele Menschen denken so und stellen den öffentlich-rechtliche Rundfunk und unsere Demokratie in Frage? Welche Gefahr geht von ihnen aus?

Jan Brandt

Lieber Kai,

was hat sich in den vergangenen zwei Jahren getan, fragst du, wie hat sich mein Leben verändert, nachdem ich dir die letzte Postkarte geschrieben habe. David und ich treffen uns weiterhin, aber wir spazieren nicht mehr quer durch eine menschenleere Stadt, stehen am ehemaligen Checkpoint Charlie und trinken nachts Bier vom Späti. Wir gehenwieder aus. Wir sind drei-, vier-, fünfmal geimpft. Und trotzdem sind wir vorsichtig geworden. Am Donnerstag waren wir mit Freunden beim Chinesen in Schöneberg verabredet, im Da Jia Le, ein Hipsterchinese, der, das hatte ich unterschätzt, auch unter der Woche sehr voll werden kann.
David hatte, wenn er nicht gerade etwas aß oder trank, die Maske auf und ging eher, weil es ihm zu unheimlich wurde zwischen
all den Leuten. Ich war angeschlagen, erst am Tag zuvor aus den USA zurückgekehrt, erkältet, gejetlagged, und folgte ihm bald.
Mit den anderen saß ich noch in einer Kneipe, aber als der Wirt uns ungefragt erklärte, für Russland zu sein, gingen wir nach einem
Bier wieder und schworen uns, nie wieder zu kommen. Das ist die Welt, in der wir jetzt leben. Wenigstens wissen wir jetzt, wer wo
steht, der Scheinfriede ist vorbei.
Herzliche Grüße
J

Malte van de Water

Im Nachhinein verbinde ich die Corona Jahre mit einem intensiven Arbeitsprozess im Atelier. Bedingt durch den Abstand sowohl zu Freund:innen als auch zu den gewohnten Freizeitaktivitäten. Es war eine jetzt schon kaum noch vorstellbare Entschleunigung des Alltags. Die Welt dreht sich wieder schneller. Die Pandemiebedingten Ängste und Sorgen sind weitergezogen.
Bilder male ich immer noch.

Verena Issel

Frei nach Houellebecq —
alles ist wie immer, nur ein
bisschen schlechter.